Markus Fehn, Leiter Strategie und Innovation beim Finanzdienstleister Chartered Investment, analysiert Chancen und Risiken des ersten US-Kryptogesetzes, das Stablecoins salonfähig machen soll. Das sorgt derzeit vor allem in den USA für Aufruhr. Fehn sieht Handelsfirmen und Finanzkonzerne im Vorteil, die sich frühzeitig dem Trend stellen.
In den USA ist mit dem „Genius Act" das erste Kryptogesetz verabschiedet worden, das Stablecoins reguliert, also an den Dollar gekoppelte Digitalwährungen. Der Genius Act könnte die Finanzbranche kräftig durchwirbeln, erwartet Fehn. Zahlungsabwickler wie Adyen und Worldline müssen sich warm anziehen, aber auch den traditionellen Banken und Finanzdienstleistern drohe eine Erosion des Geschäftsmodells. Profitieren könnten dagegen Firmen wie Mastercard, die sich als Brückenbauer zwischen alter und neuer Welt gerade neu erfinden, sagt Fehn im Interview mit €uro am Sonntag.
€uro am Sonntag: Wie gefährlich können Stablecoins tatsächlich für Kreditkartenriesen wie Visa und Mastercard und die Wall-Street-Banken werden?
Markus Fehn: Die Bedrohung ist konkret und messbar. Nach der Verabschiedung des Stablecoin-Gesetzes in den USA fielen die Aktien von Visa und Mastercard um jeweils rund 5 % - ein klares Signal, dass Investoren die Gefahr ernst nehmen. Wenn Händler wie Shopify direkt USDC-Zahlungen akzeptieren, wird das klassische Kartenmodell umgangen. Zudem können Rabatte, Treueprogramme und Abrechnungen integriert und so Incentivierungen zur Nutzung gesetzt werden. Denken Sie an eine eigene Währung von Amazon oder Walmart, welche beide nach eigener Aussage an Stablecoin-Lösungen arbeiten.
Und was droht den Banken?
In Bezug auf Banken gefährdet es das Einlagengeschäft, senkt die Bilanzsumme und erschwert die Refinanzierung. Der Haupttreiber für die Übernahme der Postbank durch die Deutsche Bank war ihr Einlagengeschäft. Man stelle sich vor, dass all die Postbank Kunden ihre Gelder, oder zumindest einen Teil davon, in einem Wallet in Stablecoin halten - die Bank hat hierauf weder Zugriff, noch sind ihr die Gelder transparent - das ist eine völlig neue Welt. Die Banken verlieren ihr wichtigstes Gut: Die Kundenbeziehung.
Handelskonzerne sondieren bereits eigene Pläne, mit Stablecoins Teile des Zahlungsverkehrs an sich zu binden. Wie wird das funktionieren, und wo liegen die Grenzen?
Die Vision ist klar: Kontrolle über den Checkout. Handelsriesen wie Amazon, Walmart oder Shopify wollen nicht länger nur Empfänger von Zahlungen sein - sie wollen die Zahlungsinfrastruktur selbst kontrollieren. Stablecoins bieten ihnen dafür das perfekte Werkzeug.
Wie funktioniert das?
Händler können eigene Stablecoins emittieren oder bestehende wie USDC integrieren, Zahlungen laufen direkt über die Blockchain, ohne Banken, ohne Kartenanbieter, ohne Clearinghäuser. Das senkt Kosten, beschleunigt Transaktionen und liefert wertvolle Echtzeitdaten über das Kundenverhalten
Und die Grenzen und Risiken?
Da sind zum einen die regulatorischen Hürden. Stablecoins unterliegen strengen Auflagen. Dann Punkte wie Vertrauen und Akzeptanz. Kunden müssen den Coin akzeptieren. Das gelingt nur mit klarer Einlösegarantie und breiter Nutzbarkeit. Fragmentierung: Wenn jeder Konzern seinen eigenen Coin herausgibt, droht ein Wildwuchs an Insellösungen. Wird es auf zehn Jahre wirklich einen Stablecoin pro Anbieter geben? Ich glaube nicht, aber der Markt ist gerade erst an Tag eins.
Zahlungsdienstleister wie Mastercard investieren mittlerweile selbst in Blockchain-Technologie, um eigene Stablecoins herausgeben zu können. Wie erfolgversprechend ist diese Strategie?
Mastercard versucht sich neu zu erfinden, als Brückenbauer zwischen alter und neuer Finanzwelt. Das Unternehmen integriert Stablecoins wie USDC und FIUSD direkt in sein globales Netzwerk und ermöglicht damit Zahlungen bei über 150 Millionen Händlern weltweit. Die Strategie ist klar: nicht verdrängen, sondern integrieren. Über Initiativen wie „Mastercard Move“ und das „Multi-Token Network“ will Mastercard Stablecoins nicht nur akzeptieren, sondern aktiv mitgestalten - inklusive Compliance, Betrugsschutz und Rückbuchungsrechten. Visa geht einen ähnlichen Weg: Das Unternehmen testet bereits die Abwicklung von Transaktionen in USDC und arbeitet an Blockchain-basierten Lösungen für den grenzüberschreitenden Zahlungsverkehr.
Wie erfolgversprechend ist das?
Mastercard bringt Vertrauen, Infrastruktur und regulatorische Erfahrung mit - drei Dinge, die vielen Krypto-Startups fehlen. Aber es ist auch ein Wettlauf gegen die Zeit. Denn: Wenn Stablecoins direkt über Wallets laufen, braucht es keine Karten mehr. Mastercard muss beweisen, dass es mehr ist als nur ein Zahlungsnetzwerk, sondern ein Ökosystem.
Als größter Profiteur des Genius Act gilt der Stablecoin-Anbieter Circle. Ist der Hype gerechtfertigt?
Circle ist der große Gewinner des Genius Act - und das nicht zufällig. Während andere Anbieter ihre Strukturen erst anpassen müssen, erfüllt Circle mit USDC bereits heute alle regulatorischen Anforderungen: 100 Prozent Deckung durch liquide US-Dollar-Assets, monatliche Prüfberichte durch eine große Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, globale Verfügbarkeit in über 185 Ländern. Während Tether derzeit off-shore agiert, ist Circle omnipräsent und hat den Weg der vollständigen Regulierung frühzeitig eingeschlagen. Dies stellt sich nun als strategischer Vorteil heraus. Circle hat gute Chancen in den nächsten zwölf bis 24 Monaten zur Referenzplattform für regulierte Stablecoins, insbesondere im Business-Zahlungsverkehr, zu werden. Der Hype ist bis heute gerechtfertigt, aber Circle muss liefern, da nun der Wettbewerb einsetzen wird.
In welche Aktien könnten Anleger jetzt investieren, um vom Stablecoin-Trend zu profitieren?
Neben Circle sind hier die Aktien von Coinbase und anderen Kryptobörsen zu nennen. Coinbase schwimmt auf der Welle der Regulierung mit und wird ein gefragter Ansprechpartner für Anbieter von Stablecoin sein. Darüber hinaus sollten Anleger die Augen auf all jene Unternehmen richten, die sich aktiv mit dem Thema beschäftigen - das Potential ist enorm. Wer es schafft, Show-Projekte für die Öffentlichkeit von jenen mit Substanz zu unterscheiden, für den bieten sich riesige Investmentgelegenheiten. Meine Prognose: Binnen fünf Jahren wird ein Unternehmen, das die Effizienzpotenziale von Stablecoins und Blockchain in seinem Geschäftsmodell verankert, in die globalen Top 10 aufsteigen.