Die Europäische Zentralbank stuft die Lage der Finanzbranche wieder als stabiler ein. Doch warum warnt sie ausgerechnet jetzt vor einem möglichen Stimmungsumschwung und Schocks an den Börsen? Der Zeitpunkt ist brisant: Am 6. Juni wollen die Währungshüter erstmals wieder die Zinsen senken, worauf die Aktienmärkte seit Monaten spekulieren.

Einmal pro Halbjahr legt die Europäische Zentralbank (EZB) ihren sogenannten Finanzstabilitätsbericht vor. Darin beurteilt sie vor dem Hintergrund neuer volks- und betriebswirtschaftlicher Daten die Stabilität des Finanzsystems im Euroraum. Jetzt hat EZB-Vize Louis de Guindos den aktuellen Finanzstabilitätsbericht vorgestellt. Tenor: Die Lage habe sich verbessert. Schwindende Rezessionsgefahren und eine rückläufige Inflation lassen das Euro-Finanzsystem wieder stabiler aussehen. „Die Hauptbotschaft, die wir vermitteln möchten, ist, dass die Verwundbarkeit für das System in den vergangenen Monaten abgenommen hat."

Bei der Vorstellung des letzten Stabilitätsberichts im November 2023 stand die EZB noch unter dem Eindruck der Schockwellen, die die Turbulenzen der US-Regionalbanken und der Zusammenbruch der Credit Suisse im vergangenen Jahr ausgelöst hatten. Zumindest diese Risiken hätten sich nun weitgehend gelegt. Die Banken im Euroraum hätten sich zudem in dieser Krise als „resilient" und ausreichend kapitalisiert erwiesen.

Dennoch geben die Währungshüter keine Entwarnung. Zum einen trübten weiterhin die geopolitischen Risiken die Perspektiven für die Finanzstabilität. Zum anderen warnt die EZB davor, dass der derzeitige Optimismus an den Börsen bezüglich der erwarteten Zinssenkungen und einer gelockerten Geldpolitik schnell umschlagen könne. Auch in einem Umfeld niedriger Wirtschaftswachstumsraten, wie es derzeit im Euroraum zu beobachten sei, seien die Börsen verstärkt anfällig für konjunkturelle und finanzielle Schocks.

Ein weiterer Risikofaktor für die EZB ist der Einbruch auf dem Gewerbeimmobilienmarkt. Vor allem die Aussichten für den Büroraummarkt stuft EZB-Vize de Guindos als „besonders düster" ein. 

Fazit

Die EZB steuert auf ihrer nächsten Sitzung am 6. Juni die ersten Zinssenkungen an. Die rückläufigen Inflationsraten lassen einen solchen Schritt weiterhin als sehr wahrscheinlich erscheinen. Interessant ist der Hinweis im Finanzstabilitätsbericht, dass die EZB in den nächsten zwei Jahren mit der Zinswende auch wieder schwächere Gewinne bei den Banken erwartet. Die Zeit der Rekordgewinne aufgrund hoher Zinsen dürfte dann vor allem bei stark zinsreagiblen Häusern vorbei sei. In Deutschland zählt dazu vor allem die Commerzbank.