Die Europäische Zentralbank hat erstmals seit 2019 die Zinsen gesenkt und gleichzeitig die Inflationsprognose für 2024 und 2025 leicht angehoben. Die meisten Experten bezeichneten den Schritt als folgerichtig. Die Inflationsaussagen seien allerdings deutlich restriktiver als erwartet, hieß es bei der Fondsgesellschaft DWS.

Den Leitzins senkten die Währungshüter auf ihrer Sitzung am Donnerstag um 0,25 Prozentpunkte auf 4,25 Prozent, der für den Finanzmarkt maßgebliche Einlagensatz von 4,00 auf 3,75 Prozent. Die Zinssenkung lag im Rahmen der Erwartungen. Auf einen Zeitpfad für weitere Zinssenkungen wollte sich die EZB nicht festlegen. Laut EZB-Präsidentin Christine Lagarde hat sich die Inflation seit vergangenem Herbst deutlich reduziert. Dennoch bleibe der Preisdruck vor allem mit Blick auf die Lohnanstiege hoch.  

So hoben die EZB-Ökonomen die Prognose für die Inflation im laufenden Jahr an. Demnach rechnen sie für 2024 nun mit einer Inflationsrate von 2,5 Prozent, während sie im März noch von 2,3 Prozent ausgegangen waren. Für 2025 erwarten sie eine Teuerungsrate von 2,2 (zuletzt: 2,0) Prozent. Die EZB strebt einen Zielwert von zwei Prozent an. Die Teuerungsrate werde wahrscheinlich bis ins nächste Jahr hinein über dem EZB-Zielwert bleiben, sagte Lagarde auf der Pressekonferenz nach dem Zinsbeschluss EZB in Frankfurt. „Auf der Straße, auf der wir uns bewegen, könnten Bomben liegen", sagte sie wörtlich. Im Mai war die Teuerungsrate in der Eurozone auf 2,6 (April: 2,4) Prozent gestiegen.

Laut Fondsgesellschaft DWS weist die Aufwärtsrevision der Inflationsprognosen besonders für 2025 daraufhin, dass es nun doch länger dauern könnte, bis das Inflationsziel erreicht ist. "Diese Aussage ist deutlich restriktiver als erwartet und legt weiter nur sehr graduelle Zinssenkungen nahe", erläuterte DWS-Expertin Ulrike Kastens.

Volkswirte bezeichneten die Zinssenkung als folgerichtig und begründbar, wiesen aber gleichzeitig auf die nach wie vor bestehenden Inflationsgefahren hin. „Der EZB-Rat sollte sich mit vorschnellen Ankündigungen weiterer Zinssenkungen zurückhalten", sagte ZEW-Experte Friedrich Heinemann. Commerzbank-Chefvolkswirt kritisierte die Zinssenkung als „verfrüht". Die EZB habe sich zu früh auf diesen Schritt festgelegt, ohne auf die nach wie vor hartnäckige Kerninflation zu schauen. Der DAX lag am Donnerstag Nachmittag etwa 0,5 Prozent im Plus. Die  US-Notenbank Federal Reserve, die ihre nächste Zinssitzung am kommenden Mittwoch, 12. Juni abhält, wird voraussichtlich die Zinsen konstant hoch halten, weil sich die Inflation in den Vereinigten Staaten zuletzt als weiterhin sehr stark erwiesen hat.